LAG Düsseldorf zur "selbständigen Leistung"

29. April 2020

LAG Düsseldorf, Urteil vom 29.0.2020, 7 Sa 397/19:
Führen einer elektronischen (Kriminal-)Akte; Begriff "selbständig" in der Stellenbeschreibung

Selbständige Leistungen (hier entschieden nach TVÖD-Bund) erfordern ein den vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative; eine leichte geistige Arbeit kann diese Anforderung nicht erfüllen.

Unter selbständiger Leistung ist demnach eine Gedankenarbeit zu verstehen, die im Rahmen der für die Vergütungsgruppe vorausgesetzten Fachkenntnisse hinsichtlich des einzuschlagenden Weges, wie insbesondere hinsichtlich des zu findenden Ergebnisses, eine eigene Beurteilung und eine eigene Entschließung erfordert (vgl. so schon BAG, Urteil vom 9.11.1957, 4 AZR 592/55; vom 18.05.1994, 4 AZR 461/93; vom 28.09.1994, 4 AZR 542/93, jeweils zitiert nach juris). Kennzeichnend für selbständige Leistungen im tariflichen Sinne können nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vielmehr - ohne Bindung an verwaltungsrechtliche Fachbegriffe - ein wie auch immer gearteter Ermessens-, Entscheidungs-, Gestaltungs- oder Beurteilungsspielraum bei der Erarbeitung eines Arbeitsergebnisses sein (vgl. BAG, Urteil vom 14.08.1985, 4 AZR 21/84, zitiert nach juris). Zur Erfüllung des Tätigkeitsmerkmals der selbstständigen Leistungen genügt allerdings nicht das Bestehen eines Beurteilungsspielraumes als solches, sondern vielmehr muss bei der Ausfüllung des Spielraums das Abwägen unterschiedlicher Informationen erforderlich sein (vgl. BAG, Urteil vom 06.06.2007, 4 AZR 456/06, zitiert nach juris). Vom Angestellten werden Abwägungsprozesse verlangt, es werden Anforderungen an das Überlegungsvermögen gestellt; der Angestellte muss also unterschiedliche Informationen verknüpfen, untereinander abwägen und zu einer Entscheidung kommen. Dieser Prozess geistiger Arbeit kann bei entsprechender Routine durchaus schnell ablaufen. Trotzdem bleibt das Faktum der geistigen Arbeit bestehen. Geistige Arbeit wird also geleistet, wenn der Angestellte sich bei der Arbeit fragen muss: Wie geht es nun weiter? Worauf kommt es nun an? Was muss als nächstes geschehen? (vgl. BAG, Urteil vom 15.11.1995, 4 AZR 557/94, zitiert nach juris).

Entscheidend ist letztlich allein das selbstständige Erarbeiten eines Arbeitsergebnisses unter Anwendung von Fachkenntnissen (vgl. BAG, Urteil vom 26.4.1966, 1 AZR 458/64, zitiert nach juris). Im rechtserheblichen Ausmaß liegen selbstständige Leistungen dann vor, wenn ohne sie ein sinnvoll verwertbares Arbeitsergebnis nicht erzielt werden kann (vgl. BAG, Urteil vom 21.03.2012, 4 AZR 266/10, zitiert nach juris).

Die Verwaltung einer elektronischen Akte (hier: einer Kriminalakte) erfüllt die Voraussetzungen nicht. Sie ist insbesondere nicht etwa schon deshalb anzunehmen, weil die Tätigkeiten in der Tätigkeitsdarstellung aus dem Jahr 2015 vom Ersteller der Darstellung stets mit dem Zusatz "selbständig" versehen worden sind. Dass es sich dabei nicht um eine Bewertung im Sinne des Tarifrechts handeln soll, ergibt sich schon daraus, dass dieser Begriff nicht in der Tätigkeitsbewertung, sondern in der Tätigkeitsdarstellung verwendet worden ist. Zudem ist in der Tätigkeitsbewertung ausdrücklich ausgeführt worden, dass die bewertete Tätigkeit zwar im hohen Maße ein eigenständiges Arbeiten erfordere, sich jedoch im Rahmen der Aufgabenerledigung keine Ermessens-, Entscheidungs-, Gestaltungs- oder Beurteilungsspielräume eröffneten. Deshalb ist die Annahme einer selbständigen Leistung abgelehnt worden. Der Zusatz "selbständig" in der Tätigkeitsdarstellung ist danach nur im Sinne eines eigenständigen Arbeitens zu verstehen. Wie bereits ausgeführt, darf das tarifliche Merkmal der "selbständigen Leistung" nicht mit dem Begriff "selbständig arbeiten" im Sinne von "allein arbeiten", d. h. ohne direkte Aufsicht oder Lenkung durch Weisungen tätig zu sein, verwechselt werden. Die Tätigkeit der Klägerin ist deshalb unabhängig von der Bewertung in der Tätigkeitsdarstellung darauf hin zu überprüfen, ob sie die an eine "selbständige Leistung" zu stellenden geistigen Anforderungen erfüllt.

In Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 15.11.1995 (a.a.O.) zur papiergeführten Kriminalakte geht die Berufungskammer davon aus, dass bei den mit der elektronischen Kriminalaktenverwaltung zusammenhängenden Tätigkeiten keine Abwägungsprozesse durchgeführt werden müssen, die eine eigene Beurteilung und eine eigene Entscheidung erfordern, die über eine leichte geistige Tätigkeit hinausgehen.
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