Adoptionsvermittlung und Pflegekinderdienst
BAG, Urt. v. 24.2.2016 – 4 AZR 485/13
Pflegekinderdienst erfüllt Anforderungen der S 14
Ausführungen des BAG zu den Arbeitsvorgängen im Sozial- und Erziehungsdienst
Bei der Bearbeitung von Fällen durch Sozialarbeiter*innen bildet regelmäßig nicht jeder einzelne Fall einen Arbeitsvorgang, sondern erst die Befassung mit allen Fällen füllt diesen Rechtsbegriff aus. Anderenfalls käme es zu einer tarifwidrigen Atomisierung solcher Tätigkeiten. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der zugewiesene Personenkreis auch einheitlich bestimmt ist. Hat ein Sozialarbeiter verschiedene, voneinander abgrenzbare Personenkreise zu betreuen, deren Status und Hilfsansprüche rechtlich ganz unterschiedlich bestimmt sind, kommt bei getrennter Betreuung die Aufteilung der Tätigkeit in je einen Arbeitsvorgang für je eine Gruppe der betreuten Personen in Betracht.
Maßgebend ist danach die Organisation des Arbeitgebers. Wird den Beschäftigten die einheitliche Fallbearbeitung mit unterschiedlich komplexen Aufgaben übertragen, ohne dass in den organisatorischen Abläufen der erforderlichen Arbeitsschritte durch den Arbeitgeber eine Zäsur mit einer neuen Arbeitsaufgabe eingefügt wird, handelt es sich regelmäßig um einen einheitlichen Arbeitsvorgang.
Dies gilt auch dann, wenn die dort enthaltenen einzelnen Arbeitsschritte unterschiedliche Schwierigkeitsgrade aufweisen, die – für sich genommen – unterschiedlichen Tätigkeitsmerkmalen zugeordnet werden könnten. Gehört beispielsweise die Erstellung von Gutachten über zu betreuende Kinder zu einer solchen einheitlichen Bearbeitung von konkreten Fällen, dh ergibt sich ihre Notwendigkeit – je nach konkreter Konstellation – erst im Laufe der Fallbearbeitung und ist sie nicht als gesonderter Arbeitsschritt einem eigenen organisatorisch selbstständigen Vorgang zugeordnet, ist sie Bestandteil des einheitlichen Arbeitsvorgangs der ganzheitlichen Betreuung. Nur wenn diese Erstellung von Gutachten organisatorisch verselbstständigt und als eigener, von der Betreuung zumindest generell getrennter Arbeitsschritt organisiert ist, der einem Arbeitnehmer eigenständig zugewiesen ist, kann man sie grundsätzlich nicht dem Arbeitsvorgang der allgemeinen Betreuung zuordnen.
Ausgehend von diesem Maßstab hat das LAG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, die Tätigkeit der Klägerin setze sich aus den zwei Arbeitsvorgängen „Adoptionsvermittlung“ und „Pflegekinderdienst“ zusammen, die je die Hälfte der ihr übertragenen Gesamttätigkeit ausmachten.
Pflegedienst erfüllt die Voraussetzungen der S 14 (erste Alternative) Entgeltordnung-VKA
Im entschiedenen Fall gehört die im Rahmen des Pflegekinderdienstes vorzunehmende Betreuung der in der so genannten Babyklappe abgelegten Säuglinge sowie der „anonym geborenen“ Kinder in den Aufgabenbereich der Klägerin. Zu dieser Tätigkeit gehören ua die Inobhutnahme des Kindes und die Sicherstellung der Erstversorgung durch Bereitschaftspflege, die Identitätssuche, die Bereitstellung einer Vollzeitpflege und gegebenenfalls die Durchführung des Adoptionsverfahrens sowie die damit zusammenhängenden Anträge an das Familiengericht. Diese Aufgaben machen jedenfalls 15 % bis 20 % ihrer Gesamttätigkeit und damit 30 % bis 40 % der Arbeitszeit innerhalb des – einzelnen – Arbeitsvorgangs aus.
Darüber hinaus ist sie jedenfalls in einem Umfang von 10 % ihrer Arbeitszeit für Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII zuständig, die auch der Krisenintervention bei Kindeswohlgefährdung dienen.
Mit diesen Tätigkeiten erfüllt sie die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-V/VKA. Dies folgt bereits aus der Anwendung der Protokollerklärung Nr. 13.
Zeitliche Relevanz der höherwertigen Einzeltätigkeiten
Die tariflichen Anforderungen fallen auch innerhalb des maßgebenden Arbeitsvorgangs in relevantem Umfang an.
Das Aufspaltungsverbot gestattet es nicht, einen Arbeitsvorgang nach Teiltätigkeiten unterschiedlicher Wertigkeit aufzuspalten. Eine Gewichtung findet an dieser Stelle der Eingruppierung nicht mehr statt. Die Bewertung erfolgt vielmehr einheitlich.
Es bedarf dabei weder eines Überwiegens noch eines „Gepräges“ der im Arbeitsvorgang zusammengefassten Tätigkeiten durch die für die Bewertung maßgebende Teiltätigkeit. Es genügt, wenn innerhalb eines Arbeitsvorgangs überhaupt konkrete Tätigkeiten in relevantem Umfang verrichtet werden, die den Anforderungen des höheren Tätigkeitsmerkmals entsprechen. Davon ist auszugehen, wenn die Tätigkeiten die tariflichen Anforderungen erfüllen und ohne sie ein sinnvolles Arbeitsergebnis nicht erzielt werden kann. Ist dies der Fall, ist der Arbeitsvorgang in seinem gesamten zeitlichen Umfang dem höheren Tätigkeitsmerkmal zuzuordnen.
Nach diesen Grundsätzen ist bereits die Erfüllung der tariflichen Anforderungen im Aufgabenbereich „Babynest/anonyme Geburt“ mit einem Anteil an der Gesamttätigkeit von bis zu 20 %, der damit mindestens ein Drittel der innerhalb des maßgebenden Arbeitsvorgangs anfallenden Aufgaben ausmacht, ohne Weiteres ausreichend. Ob darüber hinaus die Aufgaben im Zusammenhang mit der Gewährung von Hilfen zur Erziehung, welche 10 % der Gesamttätigkeit ausmachen, ebenfalls in rechtserheblichem Ausmaß anfallen, wofür viel spricht, ist danach nicht entscheidungserheblich.